Grenzen

Predigt zu Matthäus, Kap. 8 am 23. Jan. 2022

Liebe Gemeinde,
in diesem Gottesdienst haben wir schon über verschiedene GRENZEN nachgedacht.

Hieran knüpfe ich nun an: Heutzutage ist der Zugang zu einer Veranstaltung oder Gruppe oft abhängig von einem großen G. G wie Grenze? Jedenfalls: Nur wer es hat, darf rein, wem es fehlt, der muss draußen bleiben. Geimpft, getestet, genesen, geboostert. Die einen sehen die G- Kategorien als Schutz an vor Ansteckung, die anderen fühlen sich diskriminiert.

Ich bin für die G-Maßnahmen und halte sie für wichtig, habe aber ganz frisch erlebt, was sie anrichten können. Beinahe hätten sie nämlich unsere Konfigruppe gespalten. Die beiden Gruppen geimpft und ungeimpft gab es schon. Vor Weihnachten hieß es dann: Im neuen Jahr brauchen alle einen 2-G Nachweis. Am Montag vergangener Woche waren es nur noch die 14-Jährigen, die einen Nachweis vorlegen sollten, die 13-Jährigen waren davon befreit. Das hätte die Gruppe auf neue Weise gespalten. 2 aus unserer Gruppe hätten demnach wenigstens vorübergehend vom Präsenzunterricht ausgeschlossen werden müssen.

Dann die erlösende Nachricht am Dienstagnachmittag: Unsere Kirche hat erfolgreich mit der bayerischen Regierung nachverhandelt und eine Ausnahmeregelung für den Konfirmandenunterricht erwirken können, so dass nun auch ältere Konfirmanden doch keiner Impfpflicht mehr unterliegen.

Dieser Prozess zeigt, dass Grenzen gesetzt werden müssen, um wirksamen Schutz zu erzeugen, dass Grenzen aber immer auch ein Stück weit willkürlich bleiben und Ungerechtigkeiten zur Folge haben.

Das spiegelt auch die Wahl zum sogenannten „Unwort des Jahres“ wider, bei der unmenschliche oder unangemessene Begriffe unserer Sprache aufgezeigt werden. Zum Unwort des Jahres 2021 wurde erst kürzlich der englische Ausdruck "pushback" erkoren, welcher die unrechtmäßige Zurückweisung an Europas Außengrenzen meint. Ein ganz schwieriges Problem. Überall auf der Welt gibt es Flüchtende. Allerdings können nicht alle, die Europa als Ziel haben, auch in Europa Aufnahme finden.

So wird immer wieder versucht, unerlaubte Grenzübertritte zu verhindern, damit es zu Pushbacks gar nicht erst kommt.
Dennoch zeigen viele Aussagen Betroffener, dass sie sich nicht abhalten lassen von der gefährlichen Reise nach Europa und dafür alles auf eine Karte setzen, ja ihr Leben riskieren.

Indem Menschen Grenzen ziehen – Staatsgrenzen, kulturelle oder religiöse Grenzen, schützen die einen ihre Identität und ihre Werte, während andere bewusst ausgeschlossen werden. Die religiösen Gebote, welche praktizierende Juden befolgen, sind ebenfalls ein Beispiel für so einen Grenzzaun. Wer die Gebote nicht befolgt, gehört nicht dazu. Jesus hat mehr als einmal betont, dass er in erster Linie zu den Kindern Israels, also dem jüdischen Volk, gesandt worden ist. Dass er Ausnahmen macht und sich auch Ausländern zuwendet, die nicht dem jüdischen Volk angehören, zeigt unter anderem unser heutiger Predigttext in Matthäus, Kap. 8:

  • 5 Als aber Jesus nach Kapernaum hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn
  • 6 und sprach: Herr, mein Knecht liegt zu Hause und ist gelähmt und leidet große Qualen.
  • 7 Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen.
  • 8 Der Hauptmann antwortete und sprach: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund.
  • 9 Denn auch ich bin ein Mensch, der einer Obrigkeit untersteht, und habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage: Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er; und zu meinem Knecht: Tu das!, so tut er's.
  • 10 Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm nachfolgten: Wahrlich, ich sage euch: Solchen Glauben habe ich in Israel bei keinem gefunden!
  • 11 Aber ich sage euch: Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen;
  • 12 aber die Kinder des Reichs werden hinausgestoßen in die äußerste Finsternis; da wird sein Heulen und Zähneklappern.
  • 13 Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt hast. Und sein Knecht wurde gesund zu derselben Stunde.

Es ist ein römischer Hauptmann, also Mitglied der verhassten Besatzungsmacht, der sich mit dem Mut der Verzweiflung an Jesus wendet. Er spricht ihn auf seine Autorität an, die er Jesus abspürt, auf seine Kompetenz als Heiler, von der er vielleicht durch Hörensagen mitbekommen hat. Er weiß, dass seine Bitte als übergriffig aufgefasst werden kann und dass er als Nicht-Jude nicht dazu gehört.

Jesus aber scheint indes sogleich bereit, zu helfen und mit ihm zu gehen, um seinen leidenden Diener zu heilen. Es ist der Hauptmann, der ihn mit folgenden berühmt gewordenen Worten an die existierenden Grenzen erinnert: 

„Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach gehst, sondern sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund.“

Ich bin nicht wert, Herr. Und doch hat er den Schritt auf Jesus zu gemacht, weil er als Hauptmann Verantwortungsgefühl besitzt, der für seine Untergebenen Sorge trägt. Vielleicht auch weil er ein Vorgesetzter mit einem großen Herz ist, dem sein kranker Diener nicht gleichgültig ist. Der römische Hauptmann muss mit einem Pushback rechnen, also damit, dass Jesus ihn zurückweist, ihn ablehnt, sich für nicht zuständig erklärt, Jesus aber ist stattdessen tief beeindruckt vom Vertrauen, das ihm dieser Römer entgegenbringt.

Dir geschehe, wie Du geglaubt hast – sagt er zu ihm. Und vollbringt am Diener eine Fernheilung. Eine von zwei bekannten. Die zweite erlebte die Tochter einer syrophönizischen Frau, also auch einer Ausländerin. Diese Fernheilungen zeigen an, dass sich Jesus über alle kulturell-religiösen Grenzen hinwegsetzt. Viel wichtiger als die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit ist ihm die Einstellung eines Menschen, das was er in seinem Herzen sieht.

Jesus steht mit seinem Handeln für die Kraft der grenzüberschreitenden Liebe Gottes und mahnt uns damit, Menschen niemals leichtfertig zurückzuweisen, wenn sie mit einem Anliegen zu uns kommen. Nicht nur wie wir mit Flüchtenden umgehen, die bei uns Sicherheit suchen, sondern auch welchen Menschen in unserem Land wir die Teilhabe am Wohlstand, ja auch am gesellschaftlichen Leben verwehren, weil es überall immer wieder Zugangsbeschränkungen geben wird, bleiben schwierige Fragen und „Baustellen“, die danach schreien, dass wir im Sinne der Gerechtigkeit unermüdlich nachbessern.

Dass vorerst niemand aus unseren Konfirmandentreffen abgewiesen und ausgeschlossen werden muss, ist für die Gruppe und das Team jedenfalls eine Erleichterung.

Pfrin. M. Hessenauer, 23.01.2022